Prolog von Michael Finzer

 

„Was Übersetzen für Kunst und Mühe sei, das habe ich wohl erfahren; darum will ich keinen Papstesel noch Maulesel, die nichts versucht haben, hierin zum Richter oder Tadler leiden. Wer mein Dolmetschen nicht will, der lass es beiseite; der Teufel danke ihm, wer es ungerne hat, oder es ohne meinen Willen und Wissen schulmeistert. Solls geschulmeistert werden, so will ich’s selber tun; wo ich’s selber nicht tue, da lasse man mir mein Dolmetschen in Frieden, und mache ein jeglicher, was er will, für sich selbst, und habe ein gutes Jahr.“ (Martin Luther: Sendbrief vom Dolmetschen 1530, zitiert aus Luther Deutsch: Die Werke Luthers in Auswahl, 11 Bde., hrsg. von Kurt Aland, Band 5: Die Schriftauslegung, S. 88).

 

In dem Zitat von Martin Luther wird deutlich, dass das „Übersetzen“ von Texten aus einer Sprache in die andere Arbeit ist, welche Anstrengung erfordert, eben die nötigen Sprachkenntnisse (in beiden Sprachen) voraussetzt, und dann bzw. in Allem eine „Kunst“ ist. Dies führte vom ausgehenden Mittelalter über die Aufklärung in die Neuzeit und verdichtete sich in mehreren Sektoren wissenschaftlichen Arbeitens in den Begriff der „Hermeneutik“ (Kunst des Verstehens).

 

Verstehen und Verständlichmachen von Sprache bedeutet: Den Text aus einer historischen Zeit in eine andre geschichtliche Epoche hinein „über“ zu „setzen“. Mithin: Keine leichte Aufgabe! Vorausgesetzt ist dabei nicht nur die Kenntnis der jeweiligen Sprachen, sondern auch die exakte Wahrnehmung der unterschiedlichen historischen Verhältnisse. Gute oder sehr gute Übersetzungen müssen und können somit zumindest zweierlei leisten:

 

1) treu bzw. genau am Urtext, also der Quelle, bleiben,

2) Neues schaffen auf der Grundlage der Tradition, aber eben mit Blick auf die aktuelle Situation und die zeitgenössischen Adressaten/-innen.

 

Meine Aufgabe in diesem Buchprojekt gemeinsam mit Hartmut Keil bestand zuerst und zunächst darin, aus der Fülle der biblischen Schriften des Alten und Neuen Testamentes auszuwählen. Schon sehr früh war uns beiden klar, dass wir eine gewisse Bandbreite der 66 Bücher der Bibel (ohne Apokryphen) repräsentieren möchten, ohne irgendwie Vollständigkeit erlangen zu können. Außerdem war ein wesentlicher Leitgedanke der, dass die Texte auch im Hinblick auf unsere Leserinnen und  Leser auszuwählen sind.

 

Dabei waren drei hermeneutische Prinzipien leitend:

 

- Verständlichkeit,

- Lesbarkeit,

- Stimmigkeit der ausgewählten Texte im Blick auf ihre jeweilige Mundart-Version.

 

Dass ich gebürtiger Rheinhesse, also zweisprachig aufgewachsen bin, ist deshalb kein Nachteil (wenngleich der Dialekt in Zentral-Rheinhessen wieder etwas anders ist als der südrheinhesssiche; vgl. dazu Hartmut Keils Prolog).

 

Noch einmal Martin Luther: Die Bibelübersetzung geschieht auch nicht ohne einen theologischen Fokus (Brennpunkt). Im September 1522 ist die Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Deutsche fertig, das „Septembertestament“; 1534 erscheint die „Vollbibel“, also die komplette Heilige Schrift mit der Übersetzung des Alten Testamentes aus dem Hebräischen ins Deutsche und dem Neuen Testament. Anders ausgedrückt: Luther hatte zwei wesentliche Kriterien für seine Übersetzungsarbeiten, neben der jeweiligen Sprachbeherrschung.

 

1) Theologisch: Die Gnade Gottes in Christus ist Mitte und Ziel der Bibel insgesamt. Das, was „Christum treibet“, ist sein existentielles Leitmotiv.

2) Hermeneutisch: Er konnte und wollte „dem Volk aufs Maul schauen“. Er arbeitete so, dass jeder Mann und jede Frau in der Bevölkerung verstehen konnte, worum es geht. Sein Anliegen war eine allgemein verständliche Ausdrucksweise, „kräftig, bilderreich, volkstümlich“ (Luther-Artikel bei Wikipedia).

 

In Sinne des zweiten Prinzips hat Luther auch sprachschöpferisch gewirkt und die nächsten Jahrhunderte nicht nur als Kirchenpolitiker und Liederdichter, nicht nur als Theologe, sondern auch als Germanist geprägt.

 

Zurück zu unserem Büchlein: Die geneigten Leserinnen und Leser mögen überprüfen, ob gelungen ist, was uns ein Herzensanliegen war, eine gezielte Auswahl von Bibeltexten in hochdeutscher Überlieferung und daneben in einer aktuell gesprochenen Version rheinhessischer Mundart zu präsentieren.

 

Wenn zutrifft, was Hans-Georg Gadamer in seinem hermeneutisch-philosophischen Hauptwerk „Wahrheit und Methode“ sagt, dass in gewissem Sinne nicht wir Menschen die Sprache sprechen, sondern „die Sprache uns spricht“, dann wird dies vielleicht auch im Blick auf die lebendige rheinhessische Mundart in diesem Büchlein deutlich.

 

Nach F.D.E. Schleiermacher ist das Missverstehen die Regel. Aber es gibt Methoden, Möglichkeiten, Prozesse, um Verstehen neu zu ermöglichen. Ich bin der Meinung, dass „… die wissen jo ned, was se machen“ eine Gelegenheit ist, die Bibel neu zu verstehen. Sich beim Nachlesen, Nachsprechen als neu sprechender Mensch verstehen zu lernen, als „neu geschaffene Kreatur“ (2. Korinther, Kapitel 5, Vers 17; im Griechischen: „kainä ktisis“).

 

Wenn dieses kleine Werk – auch durch die Kraft der Illustrationen von Werner Hartmann – einen kleinen Beitrag dazu leistet, „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ (Schleiermacher) zu bekommen bzw. zu entwickeln, dann freuen wir uns.

 

Lektüre biblischer Texte in rheinhessischer Mundart ermöglicht Entdeckungen regionaler Sprach-Verwurzelung, kann zur Freude am Dasein, eben auch qua Sprache, führen („Schbass muss es mache“). Nicht zuletzt bekommen unsere Leserinnen und Leser vielleicht auch einen neuen Zugang zu dem, „was uns unbedingt angeht“ (Paul Tillich).

 

Wallertheim/Rheinhessen, im September 2013

Michael Finzer

 

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Vorwort von Klaus D. Fischer

 

Prolog von Hartmut Keil

 

Inhaltsverzeichnis

 

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